Annäherung an Bach aus der Gegenwart

Dresdner Cellist Matthias Lorenz präsentiert sein Projekt "Bach.heute"

OLDENBURG - Vorsicht - jetzt nimmt der Cellist sogar einen Stein in die Hand. Damit bearbeitet er das Griffbrett seines Instruments, erzeugt ungewöhnliche, scharfe Klänge, um den faustgroßen Findling dann mit lautem Krach fortzuschleudern.

Aber was hat Nicolaus A. Hubers manchmal exzessive, an die Grenzen des ausdrucksmäßig wie instrumental Möglichen heran komponierte "Wechselwirkung" (verfasst 2007) mit Johann Sebastian Bach zu tun? - Jede Menge, wie Matthias Lorenz erklärt. In seinem Programm "Bach.heute II" für Solo-Cello widmet sich der Neue-Musik-Spezialist zeitgenössischen Kompositionen, zeigt im "Theater Fabrik Rosenstraße" aber auch die Verbindungen solcher Avantgarde-Werke zur Tradition.

Dass Bachs fundamentale Cello-Suiten ihre Bedeutung auch für die ganz neue Musik entfalten, vermittelt Lorenz seinem Publikum in ausführlichen Werk-Einführungen. Gefunden hat er bei seiner Spurensuche Verbindungen in kompositorischen Strukturen, aber auch - viel unterschwelliger - Nachwirkungen von Klanggesten und Phrasen-Verläufen. Etwa in Tom Johnsons "Infinite Melody #4" (1986), deren sukzessiv entwickelnde, meditativ wirkende Melodik ebenso ohne fest definierbaren Endpunkt ist, wie die von Lorenz gezeigten Abschnitte aus einer Bach-Suite. Oder in Reiko Fütings "re-fraction: shadows" (2005), in der ein Grundgerüst immer neu überschrieben wird, musikalisches Material dadurch auf übereinander gelegten Ebenen erscheint.

Eigens für Matthias Lorenz hat der Oldenburger Komponist Friedemann Schmidt-Mechau das hier uraufgeführte Werk "Fehlversteck" (2007) verfasst. Schmidt-Mechau hat diese fünf musikalischen Skizzen so angelegt, dass sie - abhängig vom Aufführungsdatum - stets abgewandelt erklingen. Der Komponist fokussiert so die Einmaligkeit der Konzertsituation, unterfüttert dieses Thema zudem mit stummen Standbildern, die den Cellisten in typischen Konzertposen zeigen, aber auch mit ungewöhnlichen Spieltechniken und dem Einbeziehen von Sprache.

Den Rahmen dazu bildet Bach in Reinform. Dessen Suite Nr. 2 d-Moll BWV 1008 spielt Lorenz in schnellen Tempi, mit klaren Strukturen, und ohne romantisierende Attitüde. Am Ende, in einer geradezu wild expressiven Version der Gigue, scheint der alte Bach den Neutönern für einen Moment erstaunlich nah.

Volker Timmermann

Erschienen in der Nordwest-Zeitung am 27. Mai 2008

Zurück zu Bach.heute

Zur Kritik des gleichen Programmes in Dresden.


Homepage